Plötzlich neue Positionen?

Derzeit kursieren viele Erzählungen und Behauptungen über das ://about blank und seine politische Positionierung. Von vielen verschiedenen Seiten haben wir Kritik, Zuspruch, Fragen und Zuschreibungen erhalten. Vor allem auf den Social-Media-Kanälen gesellen sich Unterstellungen, Häme, Falschbehauptungen und sonstige Hässlichkeiten gegen alle Diskursbeteiligten hinzu, die wohl jeden Shitstorm kennzeichnen und die wenig bis nichts zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Verschiedenste DJs und Partyformate werden vor diesem Hintergrund teilweise massiv unter Druck gesetzt, Auftritte oder Veranstaltungen im ://about blank abzusagen. Gäste, Mitarbeiter*innen und Veranstalter*innen sind verunsichert, weil sie sich unter Zugzwang gesetzt sehen, sich pro oder kontra zu positionieren.

Mit der Abschiedserklärung der Buttons-Crew und dem Open Letter der Berlin Nightlife Workers against Apartheid liegen zwei längere Kritiken aus unserem engsten Umfeld vor. Zu den darin verhandelten Vorwürfen, den gezogenen Schlussfolgerungen und den zirkulierenden Narrativen möchten wir uns umfangreicher äußern, wissen aber um die begrenzte Reichweite längerer Texte und wie schnell sie im Social-Media-Gewitter in Vergessenheit geraten. Zudem ist uns klar, dass viele, die bei uns feiern, sich nicht positionieren wollen oder ihnen die hier ausgebreiteten Fragestellungen herzlich egal sind. Daher haben wir uns entschieden, zu den verschiedenen Zuschreibungen, Kritikpunkten und Unklarheiten ein FAQ zu erstellen. Darin werden wir für alle, die es genauer wissen wollen, die Begründungszusammenhänge unserer angefochtenen Positionen ausführlicher offenlegen.

Bei aller Sehnsucht nach einfachen Antworten und Schlagworttexten sehen wir davon ab, die Überlegungen, die wir transportieren wollen, in Form von Instagram-Kacheln oder Facebook-Stories einzudampfen. Stattdessen unternehmen wir im folgenden drei Zugänge auf den Konflikt, mit denen wir den Raum zur Einordnung, emotionalen Abrüstung und Entpolarisierung erweitern wollen.

Der vorliegende Text wurde - ebenso wie die FAQ - federführend von Personen aus dem Betreiber*innen-kollektiv des ://about blank und unter Einbeziehung der Mitarbeiter*innenvertretung des ://about blank sowie Einzelner aus verschiedenen Arbeitsbereichen erarbeitet. Im Vorfeld haben wir unsere Promoter*innen um Feedback gebeten und uns mit einigen von ihnen intensiver ausgetauscht. Die gesamte Crew des ://about blank hatte Gelegenheit zum Feedback, das an etlichen Stellen in die Textarbeit eingeflossen ist. Das verwendete “wir” erhebt nicht den Anspruch, für alle zu sprechen, die sich dem Laden zurechnen oder in ihm tätig sind. Entgegen unserer üblichen Praxis, dem Bedürfnis nach Ordnung in Sprache und Schrift durch konsequente Kleinschreibung entgegenzuwirken, sehen wir in diesem Text mit Rücksicht auf erleichterte Lesbarkeit davon ab - ausnahmsweise.

Ausgangspunkte

Das ://about blank wird seit über zehn Jahren von einem Kollektiv betrieben, dessen Zusammensetzung sich über die Jahre immer wieder verändert hat und das den Laden in Form einer Genossenschaft verantwortet. Aktuell umfasst das Kollektiv vierzehn je zur Hälfte weiblich und männlich gelesene, weiße Personen mit zum Teil queerer Identität, die sich mehrheitlich in der radikalen Linken verorten und deren bewegungsautonome, feministische oder postantideutsche Prägungen in das Selbstverständnis des ://about blanks als politischer Technoclub einfließen.

Das, was das ://about blank ausmacht, prägen aber viel mehr Menschen: über hundert Leute arbeiten für das ://about blank. Dazu kommen ebenso viele Veranstaltungscrews und zahlreiche Künstler*innen aus unterschiedlichsten Szenen und Communities aus vielen Teilen der Welt – und natürlich die unzähligen Gäste. All diese vielfältigen Menschen machen diesen Ort und seine Atmosphäre aus.

Wir teilen viele politische Überzeugungen, aber es ist auch klar, dass es nicht möglich ist, für all diese Menschen zu sprechen. Hier existieren viele unterschiedliche Positionen und Zugänge zu allen möglichen Themen nebeneinander: die Blankies kommen aus unterschiedlichen Traditionslinien und Denkschulen der Linken; es gibt Menschen, die haben sich intensiv inhaltlich mit einzelnen politischen Aspekten beschäftigt, andere kommen eher aus einer (sub)kulturellen Sozialisation zu diesem Ort, wieder andere wollen vor allem in einem Clubbetrieb arbeiten und manche vertrauen auf linkes Bauchgefühl oder darauf, das Herz am richtigen Fleck zu haben.

Trotz aller Vielfalt: das ://about blank ist in erster Linie ein Technoclub und keine Politgruppe, auch wenn sich der Ort als politisch versteht und sich immer wieder in Debatten und Bewegungen einbringt. Eine detaillierte gemeinsame Positionsbildung kann unter diesen Bedingungen immer nur momentan und fragmentarisch sein und muss offen bleiben für Veränderungen. Sie muss reflektieren, dass die Ausgangsbedingungen, von denen aus wir miteinander aushandeln, ungleich sind und wir niemals alle in allen Fragen auf einen Nenner kommen können und das auch gar nicht wollen.

Es geht zuallererst darum, einen einladenden Ort zu schaffen, an dem Menschen aus verschiedenen politischen und subkulturellen Kontexten zusammenkommen mit Leuten, die “nur” feiern wollen, und auf und neben dem Dancefloor gemeinsam in kulturellen und inhaltlichen Austausch treten. An dem sich gegenseitige Neugier und Faszination, Lust auf das Miteinander und die experimentelle Anordnung entfalten können. Und an dem das politische Framing nicht das Feiern und das Zusammenkommen mit Unbekannten überschattet, sondern ein Spannungsfeld erzeugt, in dem alle diejenigen, die sich auf diese Schnittstelle einlassen, etwas davon erfahren und mitnehmen.

Auch das Gründungskollektiv war sich weder in allen politisch relevanten Fragen einig, noch hatte es den Anspruch, im ://about blank einer spezifischen Fraktion der Linken den Vorrang zu geben. Das ://about blank sollte ein linker Feier- und Debattenort sein, der Widersprüche und unterschiedliche Auffassungen aushalten und austragen kann und sich nicht in dogmatischer Abgrenzung definiert. Gleichzeitig war und ist für das ://about blank eine klare Haltung zu den Ausgrenzungs-, Ausbeutungs- und Abwertungslogiken der deutschen Dominanzgesellschaft und ihrem Normierungsdruck unabdingbar. Daher gibt es in allen politischen Themenfeldern auch Grenzen und rote Linien, die sich aber durchaus prozesshaft verschieben und verändern können.

Der ausschlaggebende Wunsch, die oft zerstörerische Spaltungsdynamik innerlinker Grundsatzdebatten zu vermeiden, lag auch der Entscheidung zugrunde, sich in der (sich schon seit Jahrzehnten durch die linke Geschichte ziehenden) Auseinandersetzung um die richtige Haltung zum Israel-Palästina-Konflikt nicht zu positionieren und sich nicht auf eine Seite zu schlagen. Seit Anbeginn des Ladens war klar: der sogenannte Nahostkonflikt kann nicht auf dem Dancefloor gelöst werden. Genau diese grundsätzliche Entscheidung wird in der aktuellen Kontroverse erneut hinterfragt.

Abschiedsworte

Der Abschied der Buttons-Crew im Juni kurz nach der Eröffnung der Sektgarten-Saison hat uns schwer getroffen und – neben dem Gefühl zeitweiser Ohnmacht – unseren internen Austausch- und Selbstreflektionsprozess in Form von Crewtreffen, Austausch mit betroffenen Promoter*innen und Artists und mithilfe externer Konfliktberatung noch einmal intensiviert.

Mit der Buttons-Crew (bis 2016 Homopatik) besteht eine lange, enge Verbundenheit und gemeinsame Geschichte, wir haben diesen Ort zusammen aufgebaut, vorangetrieben und geprägt. Die Buttons-Crew haben wir immer als einen wesentlichen Teil unserer Blanky-Familie betrachtet und ihr Vermächtnis wird darin bestehen, an diesem Ort unzählige magische Momente mit wundervoller Musik und hedonistischer Queerness geschaffen zu haben. Wir sind gemeinsam gewachsen und haben das ://about blank zu dem gemacht, was es bis heute ist - bzw. vor Corona war. Die politischen und kulturellen Gemeinsamkeiten haben dabei für uns immer das inhaltlich Trennende überwogen. Dass nach weit mehr als hundert Partys und über zehn Jahren gemeinsamen Wegs nun an einem einzelnen Thema die Zusammenarbeit endet, ist daher besonders bitter und schmerzhaft.

Im Abschiedsstatement der Buttons werden die Gemeinsamkeiten wertgeschätzt und herausgestellt, und wir sind dafür dankbar, auch weil darin erkennbar wird, dass es nicht darum geht, das, was an gemeinsam geteilter Euphorie hinter uns liegt, nachträglich zu beschädigen, oder dass wir uns in allem so gründlich missverstehen wie an der Frage der “richtigen Solidarität” im Israel-Palästina-Konflikt.

Die Kontroverse, die zur Trennungserklärung der Buttons geführt hat, gärt schon seit mehreren Jahren und wird insbesondere durch die Israel-Boykott-Bewegung BDS befeuert. Gegen Israels Politik gerichtete Kampagnen trommeln seit Jahren für einen umfassenden, auch kulturellen Boykott und zementieren ein einseitiges Bild der Konfliktlage. Zum ersten Mal im ://about blank eskaliert ist diese Gemengelage im September 2018, als wir anlässlich des Boykott-Aufrufs #djsforpalestine Knall auf Fall eine Ausgabe der queeren/non-binären/diversen Partyreihe Room 4 Resistance (r4r) abgesagt haben. Daran gab es intern wie extern viel Kritik, aber auch viel Zustimmung für die klare Haltung gegen den strukturell antisemitischen Charakter der Boykottkampagne. Uns ist es damals in den gemeinsamen Vermittlungsgesprächen mit r4r nicht gelungen, diese Zuspitzung wieder zu entschärfen und den kompletten Abschied der r4r-Crew abzuwenden, was wir bis heute bedauern.

Die Buttons-Crew haben wir in diesem andauernden Konflikt immer als vermittelnd und brückenbauend erlebt, die trotz inhaltlicher unterschiede weitere Verwerfungen an dieser Frage vermeiden wollten, aber der Druck, sich gegen uns zu positionieren, wurde - offenbar auch befördert durch den erneuten Schlagabtausch zwischen Israel und der Hamas und den bedrückenden Bildern aus Gaza, dem Westjordanland und aus israelischen Städten - immer größer. Diesen Positionierungsdruck, für eine Seite Partei zu ergreifen, haben wir unterschätzt. Wir müssen anerkennen, dass die Buttons-Crew einen Großteil der emotionalen Arbeit und Vermittlung in Teile der queeren Community für uns übernommen hat und sich darin nicht ausreichend unterstützt gesehen hat. Wir lesen aus dem Buttons-Statement eine große Enttäuschung und Frustration darüber heraus, dass wir unsere zurückhaltende, nicht Partei ergreifende Haltung zum Israel-Palästina-Konflikt nicht im Sinne der Buttons in eine Parteinahme gegen Israel und für die palästinensische Seite verändert haben. Gleichzeitig sind wir erstaunt und irritiert, wie die Buttons unsere Positionen zusammenfasst und dabei Buzzwords, Projektionen und Zuschreibungen verwendet, die wir unzutreffend oder politisch falsch finden, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen oder denen wir widersprechen wollen. So wird etwa das ://about blank als antideutscher Ort markiert, der alle Aktionen Israels begrüßen würde und der jüdische und palästinensische Stimmen zum Schweigen bringe. Antideutschen wird generalisierend zugeschrieben, jedwede Kritik an Israel als antisemitisch zu verleumden und die Tür geöffnet zu haben für rassistische Attacken gegen People of Color, die sich pro-palästinensisch äußern, sowie antisemitische Angriffe auf progressive und linke Jüdinnen und Juden. Obwohl die Buttons-Crew diese Vorwürfe nicht belegt, entfalten sie eine entsprechende Wirkung in den Sozialen Medien. Um einer weiteren Runde des zuspitzenden Schlagabtauschs in dieser Arena keinen weiteren Vorwand zu liefern, haben wir uns daher entschieden, in den FAQ klarzustellen, in welchen Aspekten sich unser politisches Selbstverständnis gravierend von der Darstellung der Buttons unterscheidet.

Gleichwohl wollen wir es nicht bei Richtigstellungen belassen, sondern den Versuch unternehmen, zu verstehen, wieso wir an dieser Frage im gegenseitigen Verständnis scheitern, eine teilweise komplett andere Wahrnehmung haben und auf verschiedenen Planeten landen.

Die monatlichen Buttons-Partys waren ein wichtiger Brückenschlag zwischen Communities, ein Ort der exzessiven Entfaltung und vorurteilsfreien Begegnung und haben uns vieles gelehrt, was Bedürfnis und Notwendigkeit nach Identität, Sichtbarkeit und Repräsentation betrifft und was aus mehrheitlich weißer, deutscher Perspektive manchmal schwer zu verstehen ist. Der Abschied der Buttons wird - wie bereits die Trennung von Room 4 Resistance vor knapp drei Jahren - das ://about blank nicht nur um eine sehr besondere Partyreihe ärmer machen, sondern auch viele Verbindungen und Kanäle kappen. Das empfinden wir als sehr schade und als einen riesigen Verlust, ebenso wie wir die Anfeindungen und Beschimpfungen gegen die Buttons-Crew als beschämend zurückweisen.

Annäherungen

Das ://about blank ist über die Jahre stark gewachsen und hat immer mehr Menschen angezogen und miteinander in Austausch gebracht. Es ist - wie auch die Berliner Techno-Szene insgesamt – diverser, postmigrantischer und internationaler geworden. Menschen aus unterschiedlichsten Hintergründen und mit verschiedensten Identitäten sowie jüngere Generationen sind Teil des ://about blank geworden. Dennoch bestehen unzweifelhaft weiterhin Barrieren, informelle Zugangshürden, und der Club ist noch immer ein mehrheitlich weiß geprägter Ort vorwiegend deutscher Linker.

So sehr wir diesen Veränderungsprozess begrüßen und auf verschiedenen Ebenen versucht haben, ihn zu befördern, so wenig haben wir ausreichend reflektiert, was diese Veränderung für unsere politischen Selbstverständlichkeiten bedeuten kann.

Wir stellen fest, dass manche unserer Grundhaltungen auf Unverständnis stoßen, nicht geteilt oder infrage gestellt werden, dass sie einer neuerlichen Begründung oder einer inklusiven, undogmatischen Streitkultur bedürfen - und dass sie für Menschen mit anderen Erfahrungen und Lebensrealitäten alles andere als naheliegend oder selbstverständlich sind.

Der Ausschnitt der Gesellschaft, zu dem wir öffentlich sprechen, hat sich ebenso verändert wie diejenigen vielfältiger geworden sind, die mit den nach außen sichtbaren Positionen des Clubs identifiziert werden. Im Fadenkreuz unserer Polemiken und Interventionen stehen nahezu immer die deutsche Dominanzkultur und die in ihr wirksamen Rassismen gegen Migrierte, Geflüchtete, Sinti*zze und Rom*nja, Schwarze und BIPOC, ihre sexistischen und binären, homo-, queer- und transfeindlichen Geschlechter- und Rollenbilder, ihr virulenter Antisemitismus und ihr wohlstandschauvinistisches Leistungs- und Ausbeutungsprinzip. Aber wenn sich von der Unversöhnlichkeit, mit der wir die deutsche Mehrheitsgesellschaft gewöhnlich adressieren, auch diejenigen getroffen fühlen, die damit gar nicht gemeint sind, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass wir uns unzureichend ausgedrückt haben.

Jenseits bloßer Missverständnisse kommt es gerade im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Konflikt auf Social Media leider immer wieder zu Provokationen, Überspitzungen und Beleidigungen. Wenn uns gespiegelt wird, dass abwertende, verächtliche oder höhnische Äußerungen von als antideutsch wahrgenommenen Leuten, die sich mit dem ://about blank identifizieren, einschüchternd oder bedrohlich auf sie wirken, begreifen wir, dass wir diesen Aggressionen und Verletzungen nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit begegnen. Genau diese Verbalattacken befördern die Polarisierung und senken die Hemmschwellen weiter, so dass viele, die sich zwischen den Fronten, differenziert oder jenseits dessen positionieren, nicht gehört oder abgeschreckt werden.

Inspiriert durch identitätspolitische Debatten werden wir zunehmend mit Politikansätzen konfrontiert, die den Sprechort, konkrete Diskriminierungserfahrungen und äußere Unterscheidungsmerkmale zu zentralen Kriterien für die Zulässigkeit oder Richtigkeit einer Position machen. Wir lernen dadurch Neues zum biographischen Ausgangspunkt einer Position, zur Sichtbarmachung marginalisierter Standpunkte oder zur Einordnung des Gesagten und machen uns bewusst, mit welchen Privilegien unser eigener Sprechort verbunden ist. Gleichzeitig liegt hier auch die Gefahr der Homogenisierung diskriminierter Gruppen, unterschiedliche Positionen drohen zum Verschwinden gebracht zu werden. Das rein essentialistische Bezugnehmen auf kollektive Betroffenheit oder die bruchlose Identifizierung mit “Unterdrückten” laufen Gefahr, jegliche Widersprüchlichkeit zu verdrängen und den Austausch von Argumenten, die sich an universalistisch-emanzipatorischen Werten messen lassen müssen, abzuwehren.

Wenn wir mit dem Vorwurf konfrontiert werden, die deutsche Schuld für die nationalsozialistische Judenvernichtung zu instrumentalisieren, um progressive jüdische und palästinensische Stimmen zum Schweigen zu bringen, dann stellen wir fest: unsere negatorische Grundhaltung gegenüber allen Anstrengungen, Deutschland als “normalen” Nationalstaat mit all seinen Machtoptionen zu rehabilitieren, vermittelt sich nicht von selbst. Zugleich nehmen wir etwa linke jüdische und palästinensische Stimmen als viel zu vielfältig und inhomogen wahr, als dass sie als Kronzeug*innen für die Richtigkeit dieser oder jener Position beansprucht werden könnten.

Was wir anerkennen müssen ist: unsere bewusste Zurückhaltung, uns nicht vorbehaltlos auf Seiten der ohne Zweifel in einer menschenunwürdigen Situation lebenden Menschen im Gaza-Streifen und im Westjordanland zu positionieren und pauschal Israel dafür anzuklagen, wird von manchen nicht verstanden und nicht geteilt, sondern als Gegenteil gelesen - als Einverständnis mit “dem Unterdrücker” und als Empathielosigkeit gegenüber dem Leid “der Unterdrückten”. Wir müssen uns fragen, wie es gelingen kann, deutlich zu machen, dass wir diese binäre, vereinfachende Logik der Freund-Feind-Einteilung für ungeeignet halten, um der jahrzehntelangen Konfliktgeschichte und ihrer schier ausweglos erscheinenden Dynamik gerecht zu werden. Die Sehnsucht nach einfachen Antworten und eindeutigen Feindbildern im Angesicht einer komplexen und konfliktreichen Weltlage scheint uns die größte Versuchung für das Umschlagen in autoritäre und anti-emanzipatorische Welterklärungen zu sein.

Eine besonders polarisierende Wirkung hatte unsere jüngste Positionierung gegen Antisemitismus in Deutschland in seinen verschiedenen Ausprägungen. Wir sind mit der Auffassung konfrontiert, dass eine Verurteilung antisemitischer Vorfälle im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts nur dann als ausgewogen empfunden wird, wenn zugleich die Situation der Palästinenser*innen thematisiert, anti-arabischer Rassismus oder anti-muslimische Ressentiments kritisiert werden. Hier drängt sich zunächst die Frage auf, warum es die konkrete Thematisierung von Antisemitismus besonders schwer hat, nicht für sich alleine stehen kann bzw. warum sie so häufig dem Verdacht ausgesetzt wird, missbräuchlich oder interessengeleitet zu sein. Eine Instrumentalisierung von Antisemitismusvorwürfen für rechte Hetze liegt zweifelsohne etwa dann vor, wenn mit der Behauptung eines importierten Antisemitismus migrantische Milieus und Geflüchtete rassistisch stigmatisiert werden sollen - und um vergessen zu machen, dass in Sachen Antisemitismus Deutschland der Superspreader ist. Kritik an linkem oder islamistischem Antisemitismus aber per se mit dem Verweis auf rechte Diskursstrategien abzuwehren, spielt die Thematisierung von Antisemitismus und Rassismus gegeneinander aus.

Hinter dem Aufruf, uns zu “dezentrieren” und nicht fortwährend um die deutschen Verhältnisse zu kreisen, erkennen wir das legitime Bedürfnis, anderen, nichtdeutschen oder BIPOC-Perspektiven Raum zu geben, sowie die Aufforderung, uns zurückzunehmen, uns auch auf andere Kontexte einzulassen, zuzuhören und dazuzulernen. Problematisch wird es allerdings, wenn aus dekolonialer Argumentation die Erinnerung an die Shoah dafür verantwortlich gemacht wird, einer breiteren Aufarbeitung der Kolonialverbrechen im Wege zu stehen. Das berührt unmittelbar den aktuellen sogenannten zweiten Historikerstreit, der die Singularität der Judenvernichtung nicht wie in den 1980er Jahren von rechts, sondern von links infrage stellt. Damit wird eine falsche und unnötige Opferkonkurrenz aufgemacht. Umso wichtiger scheint es uns, zu begründen, warum wir uns schwerpunktmäßig mit allem, was wir formulieren, auf die deutschen Verhältnisse beziehen: auf eine postnazistische Gesellschaft, in der Rassismus und Antisemitismus immer noch tödlicher Alltag sind, wie zuletzt die Anschläge von Halle und Hanau zeigen. Und dass wir zum anderen das ://about blank als Teil einer progressiven, radikalen Linken verstehen, die an der Utopie einer befreiten Gesellschaft für alle Menschen weltweit festhält.

Auch vor der Dominanz von Social Media waren innerlinke Auseinandersetzungen um die richtige Position oder Linie oft von erbitterten Anfeindungen und dem Versuch, die gegnerische Fraktion aus der Linken oder der eigenen Community auszuschließen, als Abweichler*innen zu markieren oder ins rechte Lager zu verschieben, geprägt. Daran wollen wir uns nicht beteiligen und würden uns wünschen, dass sich alle, die bei uns feiern, es ebenso halten. Das schließt Diskurs und Disput keineswegs aus, sondern macht den Austausch von Argumenten erst möglich.

Eine erste inhaltliche Vertiefung in diesem Sinne haben wir am 14. September 2021 mit der Podiumsdiskussion Boycott on the Dancefloor – Clubkultur und der Israel-Palästina-Konflikt unternommen (nachzuhören hier: https://soundcloud.com/about-blank-berlin/boycott-on-the-dancefloor-clubkultur-der-israel-palastina-konflikt). In den nächsten Monaten wollen wir den Versuch fortsetzen, verschiedene der in diesem Statement angesprochenen Kontroversen und manche der in den FAQ ausgeführten Positionen im Rahmen von weiteren Veranstaltungen zur Diskussion zu stellen.

Jenseits der derzeitigen Polarisierungen fängt der Debattenraum an, den wir gerne offenhalten möchten, um all die Fragestellungen, die im Krawall untergehen, auf Augenhöhe besprechbar zu machen: Rassismus und Antisemitismus, Identität und Deutungshoheit, (Post)Kolonialismus und die verschiedenen Kontexte, die unsere Positionen prägen.

Wir würden uns freuen, wenn daran möglichst viele mitwirken und laden vor allem auch diejenigen, die uns widersprechen und kritisieren, dazu ein. Denn bei aller Liebe zur repetitiven Musik und zum hedonistischen Exzess: ohne emanzipatorischen Diskurs keine Autonomendisco.



://about blank, oktober 2021