über linke clubkultur und die gegenwart des gaza-kriegs

von feindbildkonstruktionen, boykottdynamiken und bekenntniszwängen

I
mitte april haben unbekannte die fassade des ://about blank mit einem roten dreieck versehen - eine feindmarkierung durch mutmaßliche sympathisant*innen der hamas. diese drohung war der vorläufige höhepunkt einer seit monaten anhaltenden serie von schmierereien, fäkalienwürfen und anderer physischer attacken, u.a. mit buttersäure, gegen das ://about blank, die durch hetze, beschimpfungen und lügen auf social media angetrieben werden. auch andere linke veranstaltungsorte sind seit monaten solchen angriffen ausgesetzt, weil sie sich im kontext des israel-palästina-konflikts vermeintlich falsch positionieren. die auswirkungen dieser angriffsserie sind für alle, die im ://about blank arbeiten, veranstalten und auflegen, sehr belastend und haben bisher ungekannte ausmaße angenommen: psychische überlastung am rande des burnouts, bedrohungen und beschimpfungen während der arbeit und das ständige gefühl getrieben zu sein statt gestalten zu können. veranstaltungen, die sich dem massaker an den besucher*innen des supernova-festivals widmen oder mit antisemitismus in der kulturszene auseinandersetzen, können nur noch unter erhöhten sicherheitsbedingungen stattfinden.
wir haben uns daher entschlossen, kursierende zuschreibungen, narrative und falsche behauptungen zurückzuweisen, ebenso wie die massiven versuche, uns einzuschüchtern und zum schweigen zu bringen. der veröffentlichung zum jetzigen zeitpunkt ging ein monatelanger diskussionsprozess innerhalb des ladens und mit hier veranstaltenden voraus.

II
das betreiber*innenkollektiv des ://about blank entstammt der radikalen linken in deutschland und hat mehrfach die erfahrung gemacht, welche zerstörerische sprengkraft die auseinandersetzung um den israelisch-palästinensischen konflikt innerhalb linker und subkultureller strukturen entwickeln kann. vor diesem hintergrund und in der erkenntnis, dass dieser konflikt und seine geschichte zu komplex sind, um eindeutig und plakativ partei zu ergreifen, haben wir es stets auch unterlassen, israel einseitig zu verurteilen. weil wir jedoch unter anderem gegen antisemitismus in seinen verschiedenen spielarten und prominente boykottkampagnen stellung bezogen haben, werden wir immer wieder als "pro-israelisch" oder "zionistisch" gelabelt. dabei werden gezielt falschbehauptungen in die welt gesetzt und verbreitet. so wird etwa behauptet, dass wir die netanjahu-regierung, die religiös-rechtsextreme siedlerbewegung oder die verheerenden kriegshandlungen in gaza unterstützen würden. diese zuschreibungen sind falsch und entbehren jeglicher grundlage. derartige unterstellungen sollen vermeintlich rechtfertigen, dass das ://about blank seit mehreren jahren auf einschlägigen boykott- und feindeslisten geführt wird. menschen, die im ://about blank arbeiten, auflegen oder veranstalten, werden aufgrund dieser propaganda von unbekannten auf social media, aber auch innerhalb ihres privaten umfelds massiv unter druck gesetzt und als „zionisten“, „faschisten“ oder „white-supremacists“ angefeindet. auch vor und im club kommt es immer häufiger zu bedrohungen und beleidigungen.

III
seit der gründung vor mehr als vierzehn jahren versteht sich das ://about blank als linker, inklusiver, queer-feministischer, antirassistischer, antifaschistischer und antisemitismuskritischer club mit einheitslohn und solidarischer ökonomie. das ://about blank wird von einem aktuell zehnköpfigen kollektiv betrieben, das entscheidungen im konsens trifft. die crew besteht aus über hundert menschen. das musikalische und inhaltliche programm wird maßgeblich von zahlreichen externen promoter*innen gestaltet, die für und mit ihren communities partys durchführen. ein zentrales gründungsmotiv war es, linke, sub- und clubkulturelle szenen zusammenzubringen und einen politischen resonanzraum zu schaffen, der musikalisch in der technoszene verortet ist. politisch sichtbarer ausdruck sind die monatlichen solipartys und spendenaktionen für antirassistische, feministische und antifaschistische initiativen und hilfsorganisationen sowie menschen auf der flucht und in not. für gewöhnlich weniger sichtbar sind die zahlreichen workshops und vernetzungstreffen politischer initiativen. innerbetrieblich werden flinta* in positionen, in denen diese im clubbetrieb nach wie vor (stark) unterrepräsentiert sind, gefördert. dafür werden an vielen stellen, z.b. an der tür, im booking und in der technik kontinuierlich herkömmliche rollenklischees, strukturen und arbeitsweisen hinterfragt und verändert. im ://about blank arbeiten und feiern menschen mit migrations- bzw. fluchtgeschichte, menschen mit queer- und transfeindlichen sowie rassismuserfahrungen, bewegungsautonome, feminist*innen, sogenannte bauchlinke, humanist*innen und menschen, die sich selbst nicht als politisch bezeichnen, aber das herz am richtigen fleck haben.

IV
innerhalb unserer crew und unter den bei uns veranstaltenden promoter*innen sind die perspektiven auf den israel-palästina-konflikt und seine komplexe entstehungsgeschichte durchaus sehr unterschiedlich. auch hinsichtlich der bewertung der aktuellen situation und verantwortungsanteilen, der lösungsoptionen und der forderungen an die kriegsparteien gibt es verschiedene auffassungen. seit unserem statement zum 7. oktober hat es interne diskussionen sowie einen austausch mit promoter*innen, die im ://about blank veranstalten, über die angemessene haltung zum kriegsgeschehen gegeben. mit der zunahme der angriffe gegen das ://about blank wurde auch der austausch über die boykott-auswirkungen, kurzfristige dj-absagen, drastische vorwürfe und die aggressive dynamik auf social media dringender. von monat zu monat ist es schwieriger geworden, bei uns veranstaltungen durchzuführen, weil der äußere druck die konzentration auf ein künstlerisches programm zunehmend verunmöglicht. auch die frage der richtigen strategie im umgang mit den anfeindungen steht seither im raum. während sich an der klaren haltung gegenüber antisemitismus nichts ändern soll, wünschen sich manche angesichts der verheerungen in gaza eine explizite äußerung des ://about blank zur art der kriegsführung israels. in unseren FAQ haben wir 2021 ausführlich begründet, warum wir als ://about blank zum eigentlichen israel-palästina-konflikt keine position beziehen, sondern uns auf antisemitische projektionen im linken und clubkulturellen diskurs beschränken. wir können daher keinesfalls mit einheitlicher stimme für alle, die im ://about blank arbeiten oder veranstalten, sprechen. was uns eint, ist der wille, diese unterschiedlichen perspektiven zu besprechen und auszuhalten - davon zeugen nicht zuletzt die bei uns durchgeführten soliparties für betroffene in gaza und israel von crews wie toys, blank with benefits, supernature und moving the needle. und wir bestehen weiterhin darauf, dass es möglich und aus antifaschistischem selbstverständnis geboten ist, sich solidarisch und empathisch mit israelischen und palästinensischen betroffenen sowie mit muslimischen und jüdischen menschen zu zeigen, ohne sich für eine seite entscheiden zu müssen.
wer sich näher mit unserer positionsfindung zum israel-palästina-konflikt und zur gegenwart des antisemitismus auseinandersetzen möchte, ist herzlich eingeladen, unter FAQ nachzulesen.

V
fast ein jahr ist seit dem angriff der hamas auf israel vom 7. oktober 2023 verstrichen, aber weder ist das entsetzen gewichen noch ein ende der gewalt und des traumas absehbar. die zivilbevölkerung in gaza ist der asymmetrischen kriegsführung zwischen israelischer armee und der islamistischen hamas schutzlos ausgeliefert. zehntausende menschen sind seither in gaza getötet und noch viele mehr verletzt und vertrieben worden. die lebensbedingungen der menschen in gaza sind katastrophal, weite teile des gazastreifens sind zerstört und sichere fluchtrouten existieren nicht. zugleich werden noch immer über hundert israelische geiseln in gaza gefangen gehalten und israelische ortschaften zum schutz vor raketenbeschuss evakuiert.
nichts davon kann für linke anlass zur freude, ein trost, ein moment des triumphes sein. es ist nichts als die grauenhaft tödliche wirklichkeit von kriegslogik und militärischer zerstörungskraft, das gegenteil jeder emanzipatorischen sehnsucht. unsere anteilnahme, unser mitgefühl und das hoffen auf besserung gilt allen unschuldigen, die in diesem schrecklichen krieg leiden und sterben. unsere politische solidarität gilt all denjenigen, die sich bemühen, das leid vor ort zu lindern, die sich weiterhin für eine friedenslösung und solidarische beziehungen einsetzen und damit an der utopie einer koexistenz festhalten.

VI
seit dem 7. oktober rollt eine welle antisemitischer vorfälle durch deutschland, die jüdinnen*juden bedroht und stellvertretend für das kriegerische vorgehen der ultrarechten israelischen regierung verantwortlich macht und deswegen attackiert. antisemitismus und judenfeindschaft sind sprunghaft angestiegen. eine solidarisierung mit den opfern des 7. oktobers und des supernova-festivals hat es weder in der gesellschaftlichen breite noch in der clubkultur oder innerhalb der linken gegeben. viele hier lebende israelis und palästinenser*innen sowie deutsche jüdinnen*juden und muslim*innen fürchten eine ausweitung des krieges. sie fürchten sich um freund*innen und verwandte vor ort, in der westbank, im libanon, auf der flucht. zugleich sind muslim*innen, menschen mit migrationshintergrund und viele, die sich für ein ende des krieges einsetzen, oftmals unter dem vorwand der antisemitismus-bekämpfung, verstärkt rassistischer diskriminierung, pauschaler verurteilung und staatlicher repression ausgesetzt. ausmaß und härte der staatlichen maßnahmen sowie der hetze rechter leitmedien und parteien sind unübersehbar von antimuslimischen rassismus gekennzeichnet und popularisieren ihn, entsprechend stark zugenommen haben die angriffe auf muslimisch gelesene menschen seit dem 7. oktober. vielfach scheint eine gleichzeitige zurückweisung und bekämpfung von antisemitischen und rassistischen positionen undenkbar zu werden – obwohl gerade das kernbestandteil linker politik sein müsste.

VII
die auseinandersetzungen rund um den aktuellen krieg in gaza führen innerhalb der gesamten clubszene zu einer immer stärkeren polarisierung. angesichts der israelischen kriegsführung und der zahlreichen zivilen opfer in gaza entsteht bei vielen das bedürfnis, sich öffentlichkeitswirksam und eindeutig zu positionieren. neben der verständlichen äußerung von anteilnahme, betroffenheit und solidarität wird dabei israel aber auch vielfach dämonisiert und teilweise die daseinsberechtigung abgesprochen. zahlreiche offen israelfeindliche und antisemitische bekundungen verklären, rechtfertigen oder begrüßen das massaker vom 7. oktober und den terror der hamas. besonders bestürzend ist die leugnung und relativierung der massiven sexualisierten gewalt der hamas - auch in sich als progressiv und queerfeministisch verstehenden kreisen. häufig existiert erst einmal eine generelle abwehr, sich mit antisemitismus auseinanderzusetzen. leiden, ängste und befürchtungen auf allen seiten anzuerkennen und nicht aufzurechnen, geht in gegenseitigen vorwürfen selektiver empathie verloren. die clubkulturellen räume, in denen sich viele jüdinnen*juden willkommen und sicher fühlen, sind rar geworden. überall trennen sich die wege und gesprächsfäden reißen ab: artists, clubs und kollektive, die sich einer eindeutigen positionierung “gegen israel” verweigern, sind immer drastischeren boykottaufrufen, beschimpfungen und bedrohungen ausgesetzt. die auswirkungen auf die (linke) clubkultur sowie auf betroffene einzelpersonen sind zerstörerisch, einschüchternd und anti-emanzipatorisch. ein konstruktiver, offener und respektvoller dialog wird dadurch verunmöglicht. daher wäre es dringend geboten, dass institutionen und aktivist*innen aus der linken und clubkulturellen szene aggressives verhalten und diffamierungskampagnen einordnen und zurückweisen, statt sich von ihnen vereinnahmen zu lassen.

VIII
in ganz europa wie auch in deutschland sind rechtsextreme und völkische parteien auf dem vormarsch. in deutschland droht die afd so stark wie nie zu werden. viele ihrer positionen haben längst eingang in die gesetzgebung gegen migration und flüchtende und in die programme der demokratischen parteien gefunden. vor allem hetzer*innen und rassist*innen am rechten rand und aus der gesellschaftlichen mitte pushen feindbilder und spitzen die diskurse weiter zu. so unglaubwürdig und instrumentell ihr engagement gegen antisemitismus daherkommt, so rassistisch und menschenfeindlich ist ihre vision eines autoritären europas der abschottung. handlungsfähige linke und zivilgesellschaftliche bündnisse gegen eine rechte hegemonie erfordern gemeinsame auseinandersetzungen und diskussionen, ohne einschüchterungen und anfeindungen. dafür braucht es orte des zusammenkommens, der aushandlung und des organisierens - und auch des gemeinsamen feierns. genau diese orte sind aktuell durch die zerwürfnisse und angriffe bedroht - das betrifft neben dem ://about blank auch orte und strukturen wie das ifz und das conne island in leipzig, die rote flora in hamburg oder das fusion-festival. allen, denen der erhalt dieser orte am herzen liegt, dürfen sich eingeladen und aufgefordert fühlen, mit uns zusammen nach wegen aus der derzeitigen dürftigkeit zu suchen.

://about blank kollektiv, september 2024